Sonntag, 31. Mai 2015

Donnerstag 03.11.16 - Teil 1

Der Morgen danach war unspektakulär, geradezu banal. Ich war dem Tod von der Schippe gesprungen und nun stand ich im Keller vor der Waschmaschine und räumte die Buntwäsche ein. Noch etwas Weichspüler dazu, die Temperatur eingestellt und es ging los. Gedankenverloren blickte ich durch die Sichtscheibe der Wäschetrommel. Das Wasser lief ein und vermischte sich mit dem Waschpulver, dann begann sich die Trommel zu drehen.

Ich riss mich los. „Nicht so viel Nachdenken, mehr machen“, ermahnte ich mich. Als ich in unsere Wohnung zurückkehrte empfingen mich der Duft von Kaffee und frischen Brötchen. Wir frühstückten am Fernseher. Immer wieder rollte das Banner  „---Breaking News---“ auf allen Kanälen durch das Bild. Der Zombievirus war nach Deutschland gekommen.

Mittlerweile waren alle Flughäfen gesperrt. Kein anfliegendes Flugzeug durfte landen. Flugzeuge, denen der Treibstoff auszugehen drohte, wurden zu Militärbasen umgeleitet und unter Quarantäne gestellt. Niemand durfte diese Flieger für drei Tage verlassen.

Bilder vom Hauptbahnhof flimmerten über den Bildschirm. Soldaten, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute waren im Einsatz. Das Innere des Bahnhofs wurde jedoch nicht gezeigt. Spezialisten (Ja, es gibt tatsächlich Spezialisten für Zombieinvasionen!!!), Sicherheitsberater und Mediziner wurden interviewt. Man bezeichnete den Ausbruch des Virus als „unglücklichen lokalen Zwischenfall“, von dem selbstverständlich keine Gefahr für die ganze Stadt oder die umliegenden Gebiete ausging. Jedwede Gefährlichkeit wurde heruntergespielt. Der „Zwischenfall“ vom Frankfurter Hauptbahnhof wurde als tragisches Unglück dargestellt. Mein Bauchgefühl bewertete die Sachlage völlig anders.

Gegen Mittag durchforstete Paul das Internet. Überlebende und Helfer der Bahnhofkatastrophe schilderten ihre Erfahrungen bei den einschlägigen sozialen Netzwerken. Es überraschte uns nicht, dass viele Posts schneller wieder verschwanden, als sie eingestellt wurden. Paul entwickelte sich zu einer regelrechten Datenkrake. Unter Aufbietung all seiner Fähigkeiten sicherte er Informationen, die uns halfen ein Gesamtbild zu entwickeln. Die meisten Informationen belegten meinen Bericht des Erlebten. Allerdings gab es Spekulationen zur Herkunft der Zombies im Bahnhof. Paul streckte sich und bog den Rücken durch. „Gleisarbeiter berichten von ungewöhnlichen Vorfällen in der vergangenen Woche. Rund um den Bahnhof hörten sie Schreie und leises Wispern in den U-Bahn-Tunneln. Wahrscheinlich sind bei dem Vorfall am Flughafen einige Infizierte entkommen und haben sich über die Tunnel unter Frankfurt verbreitet.“ Ich nickte. „Wahrscheinlich, aber warum sind es am Hauptbahnhof so viele gewesen?“ Er zuckte mit den Achseln. „Vielleicht Reisende von den unteren Ebenen, die gerade frisch infiziert wurden?“ Ich schüttelte den Kopf. „Die Transformation geht sicherlich schnell, aber ihre Zahl war wirklich sehr hoch. Ob sich da unten so viele Menschen aufgehalten haben? Warum kamen vorher nicht flüchtende Gesunde?“ Darauf wussten wir beide keine Antwort.


Gegen 19.00 Uhr berichteten die Journalisten dann von der Frankfurter Zeil. Auf dem Platz vor der Hauptwache fand ein Charity-Konzert ortsansässiger Musiker statt. Mehrere Journalisten sprachen mit den Künstlern und Passanten. Im Hintergrund waren Kerzen, Feuerzeuge und Fackeln zu sehen. Paul und ich genossen gerade eine Kanne grünen Tees und knabberten dazu auf einigen Mürbeteigkeksen herum, als hinter einer blonden Reporterin im hellen, cremefarbenen Hosenanzug Panik ausbrach. Menschen sprangen auf und stürmten auf die Kamera zu. Die Reporterin wurde zu Boden geworfen. Ein Mann sprang von rechts ins Bild und versuchte ihr zu helfen. Er kam nicht weit. Immer mehr Menschen drängten voran und schoben den Retter, sowie den Kameramann vor sich her. Das Bild wackelte. Der Träger fiel und wurde unter mehreren Personen begraben. Er konnte sich jedoch befreien. Die Kamera wurde wieder hochgehoben und zeigte Bilder, die ich nie wieder vergessen würde. 

Sonntag, 24. Mai 2015

Mittwoch 02.11.16

Heute wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Die Ärzte schienen fast ein wenig enttäuscht. Ich zeigte keinerlei Anzeichen von zombiehaftem Verhalten und meine Bluttests waren negativ. Allerdings hätte mich interessiert, wie so ein positiver Bluttest aussah. Mehrere Offiziere der Bundeswehr ließen uns eine fünfzig-seitige Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Ich überflog sie nur kurz, da ich keine echte Wahl hatte. Wollte ich je wieder meine Freiheit genießen, führte kein Weg an einer Unterschrift vorbei. Wesentlich war jedoch, dass Vater Staat mir mein letztes Hemd nehmen würde, sobald ich etwas vom erlebten publik machte. Anschließend wurden wir mit Sammeltaxis nach Hause gefahren. Die Fahrt war ereignislos. Keiner sprach viel. Alle standen noch unter dem Eindruck der Ereignisse. Ich saß neben dem Schaffner, der übrigens Paul Damm hieß. Ich war im Laufe der Ereignisse noch nicht einmal dazu gekommen seinen Namen zu erfragen. Wir sagten uns kurz Lebewohl, dann stand ich alleine auf der Straße und sah den Minivan an der nächsten Kreuzung verschwinden.

Als ich die Wohnung betrat kam mir alles irgendwie surreal und fremd vor. Plötzlich stürmte alles auf mich ein. Eine Flut von Bildern riss mich mit sich. Da war Marc, mit dem ich noch Minuten vor seinem Tod sprach. Da waren die vielen Menschen, wie sie vor Panik kreischen, flohen und starben. Da waren meine Verfolger, wie sie nach mir grabschten und mich zerreißen wollten. Meine Beine gaben nach und ich sank im Flur zu Boden. Kauernd kamen die Tränen. Ich habe mich in meinem ganzen noch nie so hilflos gefühlt.

Irgendwann ist Paul aufgetaucht. Er redete mit mir wie mit einem kleinen Kind. Er tröstete mich, macht mir einen Tee und hört sich die ganze Geschichte an. Er machte mir etwas zu Essen. Dann steckte er mich ins Bett. Ich wachte mehrmals schreiend auf. Irgendwann forderte mein Körper sein Recht und ich schlief bis zum kommenden Morgen.

Mittwoch, 20. Mai 2015

Dienstag 01.11.16 - Teil 3

Wir hatten Glück mit den Gleisschaltungen. Wahrscheinlich weil der Zug unmittelbar vor dem Angriff abfahren sollte. Gemächlich rollten wir aus der Bahnhofshalle. Wir folgten der Trasse, die aufgrund von Lärmschutzbestimmungen wie ein trockenes künstlich angelegtes Flussbett wirkte. Anfangs verfolgten uns die Zombies. Als wir jedoch an Fahrt gewannen verloren sie uns schnell. Würden sie uns trotzdem verfolgen, vielleicht den Gleisen folgen? Erst jetzt merkte ich, dass unser schöner Plan eine gewaltige Schwachstelle besaß. Würde unsere Flucht die Zombies aus dem Bahnhof locken und ins besiedelte Umland treiben? Welchen Preis würde unser Ausbruch haben? Unterstützten wir die Monster in ihrem Bestreben sich in ganz Frankfurt auszubreiten? Eine weitere Ausbreitung mochte ich mir nicht ausmalen.

Mein Funkgerät heulte. Überrascht meldete ich mich. „Ja?“
Es knackte vernehmlich. Im Hintergrund hörte ich schwere Maschinen – wahrscheinlich Motoren – laufen. „Hier ist Leutnant Karl Immhof. Sie nähern sich mit einem Zug unserem Quarantäneposten. Drosseln sie das Tempo umgehend und bleiben sie an der roten Markierung stehen. Andernfalls werden sie und der gesamte Zug vernichtet.“ 
Mir stockte der Atem. „Sie sind von der Bundeswehr?“ 
„Ja! Drosseln sie sofort das Tempo und bleiben sie an der roten Markierung stehen. Andernfalls werden sie und der gesamte Zug vernichtet.“ 
„Aber wie“, brachte ich hervor, doch er unterbrach mich rüde.
 „Halten sie endlich den verdammten Zug an. Wir haben hier drei Leopard-Panzer stehen. Sollten sie ihnen zu nahe kommen, werden diese ihren Befehlen gemäß handeln!“ 
Das wirkte. Ich durchbrach meine Verwirrung und betätigte das Bremssystem. Zuerst nur auf der Einstellung LEICHT, fuhr ich die elektrischen Bremsen langsam höher. Eine weit geschwungene Kurve später kam der Posten in Sicht. Die Trasse war verbarrikadiert. Etwa zwanzig Meter hinter einer roten Reihe von Straßenbauhütchen hatte man alle Schienen entfernt. Stattdessen waren sie quer zur Fahrtrichtung eingebettet um einen möglichen Durchbruch mit dem Zug zu verhindern. Es folgten drei Reihen sternförmige Panzersperren, Stacheldraht und dahinter die Panzer in Dreieckformation. Ihre Mündungen zeigten allesamt auf mich. Auf beiden Wänden des künstlichen Flussbetts hockten zwanzig bis dreißig Soldaten. Ihre Waffen zielten auf den Zug. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Mir fiel das Funkgerät wieder ein. „Es wäre schön, wenn sie ihren Leuten befehlen würden, nicht auf uns zu schießen.“
„Tut mir leid, wir haben unsere Vorschriften. Kommen sie mit erhobenen Händen aus der Lok. Legen sie sich auf den Bauch, dass Gesicht nach rechts und strecken sie alle Viere von sich.“ 
„Was ist mit den Menschen in den Wagons“, wollte ich wissen.
„Wir werden sie anschließend befreien. Stellen sie sich auf eine umfangreiche medizinische Untersuchung ein.“ Damit war für Immhof die Sache erledigt. Ich tat wie mir befohlen. 
Eine halbe Stunde später wurden wir mit einem Gefängnisbus in die nächste Klinik gefahren. Eine Stunde später fand ich mich in der Mensa der Klinik wieder. Vor mir ein heißer Teller Gulaschsuppe und ein älterer Soldat. „Gibt es noch andere Überlebende“, fragte ich, während ich die Suppe genoss. 
Er schüttelte den Kopf. „Außer Ihrer Gruppe hat es niemand geschafft. Sie sind die einzigen Überlebenden und deshalb benötigen wir von ihnen alle Informationen, die sie uns geben können.“ 
„Kein Problem“, erwiderte ich. „Aber wie haben sie von uns erfahren? Woher wussten sie, wie sie mit uns Kontakt aufnehmen konnten?“ 
Er lächelte verschmitzt. „Ein vorgeschobener Spähtrupp meldete einen Ausbruch. Einen Zug mit drei Wagons. Da wir in Krisenzeiten Mittel haben den Funkverkehr zu überwachen, bereitete uns dies keine große Mühe. 
„Big Brother is watching you“, murmelte ich. 
Er lachte breit. „Das gehört zu unseren Aufgaben. Stellen sie sich mal vor wie blind wir auf einem Schlachtfeld wären ohne diese Fähigkeit.“ 
In den nächsten zwei Stunden erzählte ich ihm alles, sogar mehrmals. Ich ließ nichts aus. Als wir fertig waren sank ich erschöpft auf meinem Stuhl zusammen. Er packte seine Papiere zusammen und erhob sich. Dann schaute er mir ernst in die Augen. „Sie haben heute zweiundzwanzig Menschen das Leben gerettet. Das war sehr mutig.“ Er salutierte vor mir und ging. Träge erhob ich mich und schaffte es gerade noch in mein Zimmer. Dort fiel ich in mein Bett und schlief sofort ein.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Dienstag 01.11.16 - Teil 2


Wenn man sich nur lange genug in einer ausweglosen Situation befindet, fallen einem die abstrusesten Ideen ein. Vergeht noch ein wenig mehr Zeit hält man diese Ideen sogar für gut.

„Sind Sie bereit?“ Der Schaffner, ein weiterer Flüchtling namens Steffan und ich kauerten hinter der vordersten Tür von Wagon eins. Die Lok befand sich nur einen Meter von uns entfernt. In der vergangenen halben Stunde hatten wir mehrere wichtige Dinge gelernt: Erstens, die Bahn baute ihre Wagons doch stabiler als gedacht. Trotz massivem Ansturm war es den Monstren nicht gelungen einzudringen. Zweitens, die Zombies folgten den sichtbaren Menschen hinter den Scheiben. Drittens, aus irgendeinem Grund hatten wir mit unseren Handys keinen Empfang. Besonders letzteres ließ nichts Gutes erahnen. Da wir unter diesen Umständen keine Hilfe von außen erwarten durften, mussten wir uns aus eigener Kraft retten.

Wir fassten den Entschluss alle Flüchtlinge in Wagon drei (der von der Lok am weitesten entfernt war) zu sammeln und so die Zombies abzulenken. Zwei Freiwillige würden dann schnell die vorderste Tür von Wagen eins aufkurbeln und ein dritter Freiwilliger würde nach vorn zur Lok stürmen und alles Menschenmögliche tun, um sie zum Laufen zu bringen. Dabei würde der Schaffner aufgrund seines Knowhows zurückbleiben, Anweisungen über Funk geben und notfalls einen zweiten Läufer instruieren, falls der erste Versuch fehlschlug. Es war ein verzweifelter und völlig hirnrissiger Plan.

Und jetzt raten wir mal, wer sich für diese Aktion freiwillig meldete? Genau! Warum ich die Hand hob? Keine Ahnung! Heldenmut konnte es jedenfalls nicht sein. Dafür war ich einfach nicht der Typ. Wahrscheinlich lag es an der spärlichen Auswahl an Kandidaten. Die meisten Flüchtlinge waren Mütter, Kinder, Familienväter oder waren gänzlich technisch unbegabt.  Jetzt, in diesem Moment zitterte jede Faser meines Körpers vor Angst. Hoffentlich würde ich mich erst übergeben, wenn ich den Wagon bereits verlassen hatte. Immer wieder tauchte Marc in den letzten Momenten seines Lebens auf. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass ich genauso endete.

Ein Klaps auf die Schulter holte mich ins Hier und Jetzt zurück. Ich nickte. „Viel Glück“, flüsterte der Schaffner und drückte mir eines der Notfallfunkgeräte in die Hand, die wir in den Wagons gefunden hatten. Wenigstens verschonte er mich mit den salbungsvollen Worten meiner Leidensgenossen. „Ich danke Ihnen, Sie sind ein wahrer Held.“ „Viel Erfolg und passen Sie auf die Zombies auf.“ „Ich danke ihnen im Namen meiner (ungeborenen) Kinder.“ Und was ist mit meinen? Ich hatte immer gehofft eine Familie zu haben und im Beisein meiner Frau friedlich zu entschlafen.

Immer wieder hob ich meinen Kopf und prüfte ob die Luft rein war. Bisher hatten wir Glück. Als die Tür endlich weit genug offen stand, schlüpfte ich hinaus. Möglichst geräuschlos bahnte ich mir meinen Weg zur nahen Leiter, die ins Cockpit der Lok führte. Obwohl ich nie sonderlich religiös war, betete ich zu Gott, dass sich kein Zombie innerhalb des Führerhauses verstecken möge. Langsam, Schritt für Schritt, tastete ich mich vorwärts. Der Kies knirschte leise unter meinen Füßen. Da die Zombies knapp fünfzig Meter von mir entfernt einen riesigen Lärm machten bestand jedoch keine Gefahr gehört zu werden.

Problemlos erreichte ich die Leiter der Diesellok. Vorsichtig schwang ich mich der Tür entgegen. Durch das Fenster sah ich weder Zombies, noch Leichen oder den Lokführer. Vielleicht hatte er die Flucht ergriffen. Vorsichtig betätigte ich den Öffner. Es knirschte vernehmlich. Hinter mir ein Fauchen. Ich riss den Kopf herum. Zwei Gleise weiter schaute eine verkrümmte Kreatur mit blutigem Mund über den Bahnsteig, direkt zu mir herüber. Warum war dieses Mistvieh nicht bei den hinteren Wagons? Schon schrie es schrill auf und alarmierte die anderen Zombies. Hastig wandte ich mich wieder der Tür zu. Der Öffner knirschte noch ein wenig mehr, aber die Tür rührte sich nicht. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie sich eine Gruppe vom hinteren Wagon löste und sich in meine Richtung bewegte. Verzweifelt schlug ich gegen die Scheibe. Dann sah ich die Tür auf der anderen Seite. Ich sprang herunter. Mit einer Geschwindigkeit, die ich mir selbst kaum zugetraut hätte, stürmte ich um die Lok herum. Hier schien mich noch kein Zombie bemerkt zu haben. Erneut schwang ich mich nach oben. Der Türöffner knirschte. Da tauchten bereits die ersten Verfolger auf. Ich drückte die Tür mit aller Kraft nach innen. Sie bewegte sich dermaßen langsam, dass ich zuerst glaubte sie würde sich gar nicht bewegen. Es waren sieben Zombies. Einer scheußlicher als der andere. An ihren Körpern konnte man deutlich erkennen auf welch grauenhafte Weise sie gestorben waren. Sie hatten mich fast erreicht. Die ersten beiden, ein Mann und eine Frau, streckten bereits die Hände nach mir aus. Endlich war der Spalt in der Tür groß genug und ich zog mich hinein. Keine Sekunde zu früh. Einer erwischte mich am rechten Bein. Ich stürzte. Wild fluchend trat ich am Boden liegend um mich und erwischte den Kopf des Übeltäters, woraufhin dieser nach hinten kippte und knirschend auf dem Kies landete. Vom Adrenalin aufgeputscht sprang ich auf. Schon setzten die nächsten Verfolger nach, doch ich hatte Glück. Getrieben von Mordlust und ihrem Hunger nach allem Lebendigen, behinderten sich zwei beim Aufstieg. Mit aller Kraft, die mir noch verblieben war, wuchtete ich die Tür zu. Zur Sicherheit betätigte ich noch das Schloss. Hier kam niemand mehr rein.

Ich atmete auf. Das war verdammt knapp. Selbst schuld, dachte ich. „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“, lautete ein altes Sprichwort. Ich checkte kurz mein Bein. Kein Biss. Der Zombie hielt mich lediglich fest. Dann begann ich mich umzusehen. Es war niemand zu sehen. Eine Schiebetür führte laut Schaffner nach hinten in die Elektronik. Wenn da jetzt ein Zombie drin wäre, hätte ich keine Chance zu entkommen. Draußen lauerten meine Verfolger. Der Bahnhof lag fest in Zombiehand. Wo sollte ich also hin? Vielleicht, wenn ich ihn überraschte? Glücklicherweise schluckten meine Sneakers (Oha, ein Wortspiel! Füße hoch, der kommt flach!) jedes Geräusch. Langsam tastete ich mich an die Milchglasscheibe der Schiebetür heran. Dahinter war keine Bewegung zu erkennen. Die Bahningenieure hatten bei der Konstruktion der Lok eindeutig nicht mit einem Angriff der Zombies gerechnet. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen sprungbereiten Zombie auf mich warten. Natürlich konnte ich die Tür geschlossen lassen und den Zug starten. Würde ein Zombie mich allerdings während der Fahrt angreifen und töten, würden die anderen Flüchtlinge nicht mehr eingreifen können und vielleicht durch ein Zugunglück sterben. Ich hatte mich entschieden. Meine Hand umfasste den Griff. Entschlossen zog ich die Tür auf und… Das Funkgerät ertönte. Das verdammte Funkgerät ertönte ausgerechnet in diesem Moment. Mein Herz setzte aus. Ich sprang zurück und wappnete mich für einen Angriff. Doch er blieb aus. Der Elektroraum war leer. Todesursache Herzinfarkt und das bei einer Zombieinvasion.


Ich ging ran. Wir besprachen uns kurz. Der Schaffner erklärte mir detailiert, was zu tun war. An seiner angespannten Stimme bemerkte ich, dass sich die Situation der anderen Flüchtlinge nicht verbessert hatte. Mühsam und begleitet von mehreren Fehlschlägen startete ich die Maschinen und brachte den Zug langsam in Fahrt. Wir mussten mit allem rechnen. Gleise konnten quer geschaltet sein. Wir konnten auf ein Abstellgleis geraten. Alles war möglich. So brachen wir auf und harrten der Dinge, die da kommen mochten.

Mittwoch, 6. Mai 2015

Dienstag 01.11.16 - Teil 1

Ich bin heute von Hannover mit der Bahn zurückgefahren. Es war nicht gerade erste Klasse, aber die Abteile waren erstaunlich sauber und die Mitreisenden unproblematisch. Ich lernte Marc kennen. Er stammte aus Frankfurt und verbrachte in Hannover ein verlängertes Wochenende bei seiner Freundin. Er lass Einführung in die moderne Theologie. Wer hätte das gedacht. Ein Pastor in Ausbildung. Sofort diskutierten wir über Gott und die Welt, buchstäblich. Dazu genossen wir einen milden Kaffee aus meiner Thermoskanne und ein paar Schokoriegel von ihm. Schließlich kam es, wie es kommen musste.
„Wie kann Gott all das Leiden zulassen“, fragte ich. 
„Dieser Frage muss sich jede große Religion schon seit Beginn der Zeitrechnung stellen“, erwiderte er. „Und?“ 
„Ich fürchte auf diese Frage gibt es keine gute Antwort. Als Christ gehe ich davon aus, dass auch das Leid von Gott kommt.“ 
Das überraschte mich. „Gott ist also nicht gut?“ 
„Nein“, antwortete er, „zumindest nicht nur. Hast du mal in die Bibel gesehen? Gott hat viele Facetten. Ich weiß das Gott uns liebt, aber warum er das Leid in dieser Welt zulässt bleibt ein Geheimnis. Es wird auch ein Geheimnis bleiben, da er selbst ein kaum lösbares Rätsel darstellt.“ Er lächelte etwas hilflos.
„Wir wissen also, dass wir nichts wissen“, fasste ich zusammen. 
„Wir wissen aber, dass er uns in unserem Leiden begleitet und uns beisteht und uns manchmal sogar rettet.“ Ich war mir nicht sicher ob ich wirklich verstand was er damit meinte. „Und der Zombievirus?“ 
Er überlegte eine Weile. „Darauf kann ich dir keine Antwort geben. Manchmal schickt uns Gott eine Krankheit, weil er uns damit etwas sagen will. Manchmal ist die Krankheit selbst eine Botschaft des Herrn.“ „Wir sind also selbst daran schuld, wenn wir krank werden? Wir haben also unser Leid selbst zu verschulden?“ 
Er hob abwehrend die Hände. „Nein, dass hast du missverstanden. Es mag einige Menschen geben, die ihr Leid selbst verschulden – wenn sie z.B. zu viel trinken und am nächsten Morgen einen Kater haben – aber Krankheiten, Schicksalsschläge, usw. kommen einfach über uns. Ich glaube jedoch, dass sie manchmal eine Nachricht, eine Botschaft für uns enthalten.“ 
Wir schwiegen eine Weile und jeder hing seinen eigenen düsteren Gedanken nach.

Gegen 16.00 Uhr fuhren wir im Frankfurter Hauptbahnhof ein. Ich half Marc bei seinem Gepäck. Auf dem Bahnsteig tauschten wir die Handynummern und verabschiedeten uns. In diesem Moment kam die erste Durchsage: „Wegen eines technischen Defekts verzögert sich die Weiterfahrt um 15 Minuten!“ Wir lachten. „Typisch Bahn“, bemerkte er. „Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt noch funktionierende Fahrpläne haben.“ Wir gaben uns die Hand. Ein lauter Knall donnerte von der Eingangshalle herüber. Wir fuhren erschrocken herum. Es war jedoch nichts zu sehen. Er lächelte. „Wahrscheinlich nur ein paar Kids, die Böller in die Mülltonnen geworfen haben.
„Frankfurt ist eben ein heißes Pflaster“, bemerkte ich ironisch. Dann trennten wir uns.

Ich schaute ihm noch eine Weile nach, unschlüssig ob ich mir einen Kaffee aus dem nahegelegenen Bahnhofskiosk holen sollte oder nicht. Ich diesem Moment schlurften verkrümmte Gestalten aus den unteren Ebenen des Bahnhofs nach oben. Blutüberströmt, mit hängenden Armen und wirrem Blick. Es war wie im Film. Sie torkelten auf einzelne Passanten zu und fielen sie an. Wie wilde Bestien stürzten sie sich auf sie und bissen sie in den Hals oder in die abwehrenden Arme, schlugen auf sie ein oder drängten sie zurück. Schnell brach Panik aus. Ich sah Marc, wie er von Flüchtenden zu Boden geworfen wurde und in einen Pulk der Infizierten geriet. Drei stürzten sich auf ihn, rissen ihn zu Boden und schlugen, bissen und rangen. Ich sah wie er sich wehrte. Einen Moment lang wollte ich hin und ihm beistehen, ihn retten. Doch es kamen immer mehr Zombies. Eine wahre Flut ergoss sich in die Bahnhofshalle und breitete sich schnell aus. Schon war er von einem großen Pulk umringt. Das letzte was ich sah, war das Blut, das aus Marcs zahlreichen Verletzungen spritzte und ich wusste, dass ich zu spät kommen würde.

Die Infizierten drangen unaufhaltsam vor. Sie nahmen den Haupteingang ein. Mehrere Gruppen marschierten in die kleinen Geschäfte und fielen über die Angestellten und Kunden her. Es war grauenhaft. Schreie gellten durch die Bahnhofshalle. Das Chaos regierte. Ein paar mutige Sicherheitsmänner der Bahnpolizei versuchten die Zombies aufzuhalten. Vergeblich! Sie wurden nach und nach niedergerungen und in Stücke gerissen. Drei Polizisten gaben mehrere Schüsse auf die Eindringlinge ab. Es gelang ihnen sogar einige Zombies aufzuhalten oder sogar endgültig zu töten, doch es waren einfach zu viele. Schon drangen sie auf die Gleise und Bahnsteige. Flüchtende mit weit aufgerissenen Augen und von Panik entstellten Gesichtszügen stürmten auf mich zu. Einige schafften es in ihre Züge, doch die Türen schlossen sich nicht. In den Wagons wurden sie von den langsameren, aber unaufhaltsamen Monstren eingeholt. Ich sah, wie sie so weit wie möglich zurückwichen. Ich sah, wie sie versuchten Scheiben einzuschlagen. Ich sah, wie die ersten Opfer sich wieder erhoben und sich der Zombiehorde anschlossen. Es war bizarr. Dann bewegten sie sich zielstrebig in meine Richtung.

Endlich löste auch ich mich aus meiner Angststarre. Ich machte auf dem Absatz kehrt und stürmte in die entgegengesetzte Richtung. An mein Gepäck verlor ich dabei keinen Gedanken. Notfalls würde ich auf die Gleise springen und so den Bahnhof verlassen. Nur weg von der tödlichen Meute. Doch es war wie in einem Alptraum. Einige hatten sich schon an den Seiten der Bahnsteige vorgearbeitet und krochen nun zwischen den Wagons nach oben. Einige blieben dabei an den offen liegenden Stromleitungen hängen und zappelten schrill schreiend.

„Hier rüber!“ Am Ende des Bahnsteigs stand ein Zugschaffner, der hektisch winkend die flüchtenden Menschen zu sich rief. In Ermangelung einer Alternative und weil ich in Panik sowieso nicht klar denken konnte, rannte ich so schnell ich konnte auf ihn zu. Es würde knapp werden. Immer mehr Zombies kamen von beiden Seiten nach oben, aber wenigstens waren sie nicht sehr schnell.

Ich war einer der letzten Flüchtigen, die eintrafen. Ich sprang in den Wagon. Erst jetzt fiel mir auf, dass er ziemlich weit hinten stand. Offensichtlich handelte es sich um einen Sammelzug, dessen Wagons in Frankfurt aufgeteilt worden waren und in verschiedene Richtungen weiterfuhren. 
„Sind hier Zombies drin“, fragte ich, um Luft ringend. 
Er schüttelte den Kopf. „Noch nicht.“ Er tippte auf dem Display an der Tür herum, drückte mehrere Knöpfe und drehte seinen Schlüssel. Nichts passierte. Er fluchte. Mir schwante böses. 
„Was ist?“ 
„Der Lokführer hat die Elektrik stillgelegt.“ 
„Und das bedeutet“, wollte ich wissen.
 „Wir stecken hier fest!“ Wütend schlug er auf das Display. „Solange der Lokführer die Systeme nicht freischaltet, können wir die Türen nicht schließen.“ Hilflos rang er die Hände. 
„Gibt es kein Notfallsystem?“ 
Das riss ihn aus seiner Ohnmacht. Verblüfft schaute er mich an. „Natürlich, aber wir müssten die Türen Manuell schließen. Da es sich um moderne Schiebetüren handelt müssen wir ganz schön kurbeln.“ Ohne zögern beschrieb er den Umstehenden schrittweise, wie sie die Türen schließen konnten. Es gelang. Keine Sekunde zu früh.
Unsere Sicherheit war nur vorübergehend. Zombies waren keine Gehirnakrobaten und in diesem Fall war eine kreative Problemlösung auch nicht notwendig. Durch die großen Fenster sahen sie ein reichhaltiges Buffet. Schnell umringten hunderte unseren Zug und schlugen mit Händen, Fäusten und Köpfen auf die Scheiben ein. Einige wenige kletterten sogar auf den Zug. Wir waren gefangen.
Hektisch suchten wir nach einem Ausweg aus der Misere. Der Schaffner versuchte über die Kommunikationsanlage Kontakt mit dem Lokführer aufzunehmen. Er erhielt keine Antwort. Er fluchte. „Wenn es den Lokführer erwischt hat“, er ließ den Rest unausgesprochen.

Wir schwiegen. Nur wenige Zentimeter von uns entfernt trommelten die Zombies gegen die Türen und Fenster. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie es hineinschafften. Die wenigen Flüchtenden standen in den Gängen. Nackte Angst zeichnete ihre Gesichter. Es gab keinen Ausweg. Ich schloss die Augen. So würde es also enden, zerfleischt von mordlustigen Wahnsinnigen, getrieben von einem heimtückischen Virus.

Sonntag, 3. Mai 2015

Montag 31.10.16

Die Sorge um Steffen und die blutigen Bilder haben mich die Nacht über wach gehalten. Vor dem Brunch um 10.00 Uhr, entschließe ich mich, noch einen Sparziergang zu machen. Ich laufe in die nahe Fußgängerzone und organisiere mir einer alten Gewohnheit folgend Kaffee und eine Tageszeitung. Auf einer Bank mache ich es mir gemütlich und nippe an der heißen Flüssigkeit. Ich schmecke wie üblich mehr den Pappbecher, als den Kaffee. Auf einen Blick in die Zeitung verzichte ich dann doch. Ich möchte nachher nicht ständig an den Virus oder Steffen denken müssen. Ich beobachte, wie die Menschen ihren täglichen Verrichtungen nachgehen. Keiner scheint Angst zu haben oder wirkt unruhig. Wir leben in einem sicheren Land, beschwichtige ich mich.
Das Vorstellungsgespräch ist prima gelaufen. Nach einem einstündigen Brunch verbrachte ich den größten Teil des Tages in den Räumlichkeiten von Alternate Power Industries. Der Geschäftsführer zeigt mir die Firma und meinen zukünftigen Aufgabenbereich. Tim macht keinen Hehl daraus, dass er mich für den geeignetsten Kandidaten hält. In meiner Masterarbeit habe ich mich intensiv mit der Sensibilität von Solarzellen befasst und wie sie sich steigern lässt. Sein Nachname ist Braun, aber alle sprechen sich mit dem Vornamen an. Typisch amerikanische Firmenpolitik. Mir soll´s recht sein.
Als ich gegen 18.00 Uhr ins Hotel zurückkehre bin ich erschlagen von den Eindrücken, daher gehe ich noch eine Runde in den Whirlpool.

Um einer möglichen Schlaflosigkeit vorzubeugen begebe ich mich auf einen abendlichen Streifzug durch die Hannoveraner Innenstadt und finde einen Salsa-Club. Ich habe schon ewig nicht mehr getanzt. Drei Lieder und zwei Tanzpartnerinnen später bin ich in meinem Element. So bemerke ich die SMS von Steffen erst, als ich zurück im Georgshof bin. „Vielen Dank für deine Anteilnahme. Kein Grund zur Besorgnis. Ich lebe noch.“ Die Nachricht ist auffallend kurz.