Mittwoch, 13. Mai 2015

Dienstag 01.11.16 - Teil 2


Wenn man sich nur lange genug in einer ausweglosen Situation befindet, fallen einem die abstrusesten Ideen ein. Vergeht noch ein wenig mehr Zeit hält man diese Ideen sogar für gut.

„Sind Sie bereit?“ Der Schaffner, ein weiterer Flüchtling namens Steffan und ich kauerten hinter der vordersten Tür von Wagon eins. Die Lok befand sich nur einen Meter von uns entfernt. In der vergangenen halben Stunde hatten wir mehrere wichtige Dinge gelernt: Erstens, die Bahn baute ihre Wagons doch stabiler als gedacht. Trotz massivem Ansturm war es den Monstren nicht gelungen einzudringen. Zweitens, die Zombies folgten den sichtbaren Menschen hinter den Scheiben. Drittens, aus irgendeinem Grund hatten wir mit unseren Handys keinen Empfang. Besonders letzteres ließ nichts Gutes erahnen. Da wir unter diesen Umständen keine Hilfe von außen erwarten durften, mussten wir uns aus eigener Kraft retten.

Wir fassten den Entschluss alle Flüchtlinge in Wagon drei (der von der Lok am weitesten entfernt war) zu sammeln und so die Zombies abzulenken. Zwei Freiwillige würden dann schnell die vorderste Tür von Wagen eins aufkurbeln und ein dritter Freiwilliger würde nach vorn zur Lok stürmen und alles Menschenmögliche tun, um sie zum Laufen zu bringen. Dabei würde der Schaffner aufgrund seines Knowhows zurückbleiben, Anweisungen über Funk geben und notfalls einen zweiten Läufer instruieren, falls der erste Versuch fehlschlug. Es war ein verzweifelter und völlig hirnrissiger Plan.

Und jetzt raten wir mal, wer sich für diese Aktion freiwillig meldete? Genau! Warum ich die Hand hob? Keine Ahnung! Heldenmut konnte es jedenfalls nicht sein. Dafür war ich einfach nicht der Typ. Wahrscheinlich lag es an der spärlichen Auswahl an Kandidaten. Die meisten Flüchtlinge waren Mütter, Kinder, Familienväter oder waren gänzlich technisch unbegabt.  Jetzt, in diesem Moment zitterte jede Faser meines Körpers vor Angst. Hoffentlich würde ich mich erst übergeben, wenn ich den Wagon bereits verlassen hatte. Immer wieder tauchte Marc in den letzten Momenten seines Lebens auf. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass ich genauso endete.

Ein Klaps auf die Schulter holte mich ins Hier und Jetzt zurück. Ich nickte. „Viel Glück“, flüsterte der Schaffner und drückte mir eines der Notfallfunkgeräte in die Hand, die wir in den Wagons gefunden hatten. Wenigstens verschonte er mich mit den salbungsvollen Worten meiner Leidensgenossen. „Ich danke Ihnen, Sie sind ein wahrer Held.“ „Viel Erfolg und passen Sie auf die Zombies auf.“ „Ich danke ihnen im Namen meiner (ungeborenen) Kinder.“ Und was ist mit meinen? Ich hatte immer gehofft eine Familie zu haben und im Beisein meiner Frau friedlich zu entschlafen.

Immer wieder hob ich meinen Kopf und prüfte ob die Luft rein war. Bisher hatten wir Glück. Als die Tür endlich weit genug offen stand, schlüpfte ich hinaus. Möglichst geräuschlos bahnte ich mir meinen Weg zur nahen Leiter, die ins Cockpit der Lok führte. Obwohl ich nie sonderlich religiös war, betete ich zu Gott, dass sich kein Zombie innerhalb des Führerhauses verstecken möge. Langsam, Schritt für Schritt, tastete ich mich vorwärts. Der Kies knirschte leise unter meinen Füßen. Da die Zombies knapp fünfzig Meter von mir entfernt einen riesigen Lärm machten bestand jedoch keine Gefahr gehört zu werden.

Problemlos erreichte ich die Leiter der Diesellok. Vorsichtig schwang ich mich der Tür entgegen. Durch das Fenster sah ich weder Zombies, noch Leichen oder den Lokführer. Vielleicht hatte er die Flucht ergriffen. Vorsichtig betätigte ich den Öffner. Es knirschte vernehmlich. Hinter mir ein Fauchen. Ich riss den Kopf herum. Zwei Gleise weiter schaute eine verkrümmte Kreatur mit blutigem Mund über den Bahnsteig, direkt zu mir herüber. Warum war dieses Mistvieh nicht bei den hinteren Wagons? Schon schrie es schrill auf und alarmierte die anderen Zombies. Hastig wandte ich mich wieder der Tür zu. Der Öffner knirschte noch ein wenig mehr, aber die Tür rührte sich nicht. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie sich eine Gruppe vom hinteren Wagon löste und sich in meine Richtung bewegte. Verzweifelt schlug ich gegen die Scheibe. Dann sah ich die Tür auf der anderen Seite. Ich sprang herunter. Mit einer Geschwindigkeit, die ich mir selbst kaum zugetraut hätte, stürmte ich um die Lok herum. Hier schien mich noch kein Zombie bemerkt zu haben. Erneut schwang ich mich nach oben. Der Türöffner knirschte. Da tauchten bereits die ersten Verfolger auf. Ich drückte die Tür mit aller Kraft nach innen. Sie bewegte sich dermaßen langsam, dass ich zuerst glaubte sie würde sich gar nicht bewegen. Es waren sieben Zombies. Einer scheußlicher als der andere. An ihren Körpern konnte man deutlich erkennen auf welch grauenhafte Weise sie gestorben waren. Sie hatten mich fast erreicht. Die ersten beiden, ein Mann und eine Frau, streckten bereits die Hände nach mir aus. Endlich war der Spalt in der Tür groß genug und ich zog mich hinein. Keine Sekunde zu früh. Einer erwischte mich am rechten Bein. Ich stürzte. Wild fluchend trat ich am Boden liegend um mich und erwischte den Kopf des Übeltäters, woraufhin dieser nach hinten kippte und knirschend auf dem Kies landete. Vom Adrenalin aufgeputscht sprang ich auf. Schon setzten die nächsten Verfolger nach, doch ich hatte Glück. Getrieben von Mordlust und ihrem Hunger nach allem Lebendigen, behinderten sich zwei beim Aufstieg. Mit aller Kraft, die mir noch verblieben war, wuchtete ich die Tür zu. Zur Sicherheit betätigte ich noch das Schloss. Hier kam niemand mehr rein.

Ich atmete auf. Das war verdammt knapp. Selbst schuld, dachte ich. „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“, lautete ein altes Sprichwort. Ich checkte kurz mein Bein. Kein Biss. Der Zombie hielt mich lediglich fest. Dann begann ich mich umzusehen. Es war niemand zu sehen. Eine Schiebetür führte laut Schaffner nach hinten in die Elektronik. Wenn da jetzt ein Zombie drin wäre, hätte ich keine Chance zu entkommen. Draußen lauerten meine Verfolger. Der Bahnhof lag fest in Zombiehand. Wo sollte ich also hin? Vielleicht, wenn ich ihn überraschte? Glücklicherweise schluckten meine Sneakers (Oha, ein Wortspiel! Füße hoch, der kommt flach!) jedes Geräusch. Langsam tastete ich mich an die Milchglasscheibe der Schiebetür heran. Dahinter war keine Bewegung zu erkennen. Die Bahningenieure hatten bei der Konstruktion der Lok eindeutig nicht mit einem Angriff der Zombies gerechnet. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen sprungbereiten Zombie auf mich warten. Natürlich konnte ich die Tür geschlossen lassen und den Zug starten. Würde ein Zombie mich allerdings während der Fahrt angreifen und töten, würden die anderen Flüchtlinge nicht mehr eingreifen können und vielleicht durch ein Zugunglück sterben. Ich hatte mich entschieden. Meine Hand umfasste den Griff. Entschlossen zog ich die Tür auf und… Das Funkgerät ertönte. Das verdammte Funkgerät ertönte ausgerechnet in diesem Moment. Mein Herz setzte aus. Ich sprang zurück und wappnete mich für einen Angriff. Doch er blieb aus. Der Elektroraum war leer. Todesursache Herzinfarkt und das bei einer Zombieinvasion.


Ich ging ran. Wir besprachen uns kurz. Der Schaffner erklärte mir detailiert, was zu tun war. An seiner angespannten Stimme bemerkte ich, dass sich die Situation der anderen Flüchtlinge nicht verbessert hatte. Mühsam und begleitet von mehreren Fehlschlägen startete ich die Maschinen und brachte den Zug langsam in Fahrt. Wir mussten mit allem rechnen. Gleise konnten quer geschaltet sein. Wir konnten auf ein Abstellgleis geraten. Alles war möglich. So brachen wir auf und harrten der Dinge, die da kommen mochten.

Keine Kommentare: