Wenn man sich nur lange genug in einer ausweglosen Situation
befindet, fallen einem die abstrusesten Ideen ein. Vergeht noch ein wenig mehr
Zeit hält man diese Ideen sogar für gut.
„Sind Sie bereit?“ Der Schaffner, ein weiterer Flüchtling
namens Steffan und ich kauerten hinter der vordersten Tür von Wagon eins. Die
Lok befand sich nur einen Meter von uns entfernt. In der vergangenen halben
Stunde hatten wir mehrere wichtige Dinge gelernt: Erstens, die Bahn baute ihre
Wagons doch stabiler als gedacht. Trotz massivem Ansturm war es den Monstren
nicht gelungen einzudringen. Zweitens, die Zombies folgten den sichtbaren Menschen
hinter den Scheiben. Drittens, aus irgendeinem Grund hatten wir mit unseren
Handys keinen Empfang. Besonders letzteres ließ nichts Gutes erahnen. Da wir
unter diesen Umständen keine Hilfe von außen erwarten durften, mussten wir uns
aus eigener Kraft retten.
Wir fassten den Entschluss alle Flüchtlinge in Wagon drei
(der von der Lok am weitesten entfernt war) zu sammeln und so die Zombies
abzulenken. Zwei Freiwillige würden dann schnell die vorderste Tür von Wagen
eins aufkurbeln und ein dritter Freiwilliger würde nach vorn zur Lok stürmen
und alles Menschenmögliche tun, um sie zum Laufen zu bringen. Dabei würde der
Schaffner aufgrund seines Knowhows zurückbleiben, Anweisungen über Funk geben
und notfalls einen zweiten Läufer instruieren, falls der erste Versuch
fehlschlug. Es war ein verzweifelter und völlig hirnrissiger Plan.
Und jetzt raten wir mal, wer sich für diese Aktion freiwillig
meldete? Genau! Warum ich die Hand hob? Keine Ahnung! Heldenmut konnte es jedenfalls
nicht sein. Dafür war ich einfach nicht der Typ. Wahrscheinlich lag es an der
spärlichen Auswahl an Kandidaten. Die meisten Flüchtlinge waren Mütter, Kinder,
Familienväter oder waren gänzlich technisch unbegabt. Jetzt, in diesem Moment zitterte jede Faser
meines Körpers vor Angst. Hoffentlich würde ich mich erst übergeben, wenn ich
den Wagon bereits verlassen hatte. Immer wieder tauchte Marc in den letzten
Momenten seines Lebens auf. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass ich genauso
endete.
Ein Klaps auf die Schulter holte mich ins Hier und Jetzt
zurück. Ich nickte. „Viel Glück“, flüsterte der Schaffner und drückte mir eines
der Notfallfunkgeräte in die Hand, die wir in den Wagons gefunden hatten. Wenigstens
verschonte er mich mit den salbungsvollen Worten meiner Leidensgenossen. „Ich
danke Ihnen, Sie sind ein wahrer Held.“ „Viel Erfolg und passen Sie auf die
Zombies auf.“ „Ich danke ihnen im Namen meiner (ungeborenen) Kinder.“ Und was
ist mit meinen? Ich hatte immer gehofft eine Familie zu haben und im Beisein
meiner Frau friedlich zu entschlafen.
Immer wieder hob ich meinen Kopf und prüfte ob die Luft rein
war. Bisher hatten wir Glück. Als die Tür endlich weit genug offen stand,
schlüpfte ich hinaus. Möglichst geräuschlos bahnte ich mir meinen Weg zur nahen
Leiter, die ins Cockpit der Lok führte. Obwohl ich nie sonderlich religiös war,
betete ich zu Gott, dass sich kein Zombie innerhalb des Führerhauses verstecken
möge. Langsam, Schritt für Schritt, tastete ich mich vorwärts. Der Kies
knirschte leise unter meinen Füßen. Da die Zombies knapp fünfzig Meter von mir
entfernt einen riesigen Lärm machten bestand jedoch keine Gefahr gehört zu
werden.
Problemlos erreichte ich die Leiter der Diesellok.
Vorsichtig schwang ich mich der Tür entgegen. Durch das Fenster sah ich weder
Zombies, noch Leichen oder den Lokführer. Vielleicht hatte er die Flucht
ergriffen. Vorsichtig betätigte ich den Öffner. Es knirschte vernehmlich.
Hinter mir ein Fauchen. Ich riss den Kopf herum. Zwei Gleise weiter schaute eine
verkrümmte Kreatur mit blutigem Mund über den Bahnsteig, direkt zu mir herüber.
Warum war dieses Mistvieh nicht bei den hinteren Wagons? Schon schrie es
schrill auf und alarmierte die anderen Zombies. Hastig wandte ich mich wieder
der Tür zu. Der Öffner knirschte noch ein wenig mehr, aber die Tür rührte sich
nicht. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie sich eine Gruppe vom
hinteren Wagon löste und sich in meine Richtung bewegte. Verzweifelt schlug ich
gegen die Scheibe. Dann sah ich die Tür auf der anderen Seite. Ich sprang
herunter. Mit einer Geschwindigkeit, die ich mir selbst kaum zugetraut hätte,
stürmte ich um die Lok herum. Hier schien mich noch kein Zombie bemerkt zu
haben. Erneut schwang ich mich nach oben. Der Türöffner knirschte. Da tauchten
bereits die ersten Verfolger auf. Ich drückte die Tür mit aller Kraft nach
innen. Sie bewegte sich dermaßen langsam, dass ich zuerst glaubte sie würde
sich gar nicht bewegen. Es waren sieben Zombies. Einer scheußlicher als der
andere. An ihren Körpern konnte man deutlich erkennen auf welch grauenhafte
Weise sie gestorben waren. Sie hatten mich fast erreicht. Die ersten beiden,
ein Mann und eine Frau, streckten bereits die Hände nach mir aus. Endlich war
der Spalt in der Tür groß genug und ich zog mich hinein. Keine Sekunde zu früh.
Einer erwischte mich am rechten Bein. Ich stürzte. Wild fluchend trat ich am
Boden liegend um mich und erwischte den Kopf des Übeltäters, woraufhin dieser
nach hinten kippte und knirschend auf dem Kies landete. Vom Adrenalin
aufgeputscht sprang ich auf. Schon setzten die nächsten Verfolger nach, doch
ich hatte Glück. Getrieben von Mordlust und ihrem Hunger nach allem Lebendigen,
behinderten sich zwei beim Aufstieg. Mit aller Kraft, die mir noch verblieben
war, wuchtete ich die Tür zu. Zur Sicherheit betätigte ich noch das Schloss.
Hier kam niemand mehr rein.
Ich atmete auf. Das war verdammt knapp. Selbst schuld,
dachte ich. „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um“, lautete ein altes
Sprichwort. Ich checkte kurz mein Bein. Kein Biss. Der Zombie hielt mich
lediglich fest. Dann begann ich mich umzusehen. Es war niemand zu sehen. Eine
Schiebetür führte laut Schaffner nach hinten in die Elektronik. Wenn da jetzt
ein Zombie drin wäre, hätte ich keine Chance zu entkommen. Draußen lauerten
meine Verfolger. Der Bahnhof lag fest in Zombiehand. Wo sollte ich also hin?
Vielleicht, wenn ich ihn überraschte? Glücklicherweise schluckten meine
Sneakers (Oha, ein Wortspiel! Füße hoch, der kommt flach!) jedes Geräusch.
Langsam tastete ich mich an die Milchglasscheibe der Schiebetür heran. Dahinter
war keine Bewegung zu erkennen. Die Bahningenieure hatten bei der Konstruktion
der Lok eindeutig nicht mit einem Angriff der Zombies gerechnet. Vor meinem
geistigen Auge sah ich einen sprungbereiten Zombie auf mich warten. Natürlich
konnte ich die Tür geschlossen lassen und den Zug starten. Würde ein Zombie
mich allerdings während der Fahrt angreifen und töten, würden die anderen
Flüchtlinge nicht mehr eingreifen können und vielleicht durch ein Zugunglück
sterben. Ich hatte mich entschieden. Meine Hand umfasste den Griff.
Entschlossen zog ich die Tür auf und… Das Funkgerät ertönte. Das verdammte Funkgerät
ertönte ausgerechnet in diesem Moment. Mein Herz setzte aus. Ich sprang zurück
und wappnete mich für einen Angriff. Doch er blieb aus. Der Elektroraum war
leer. Todesursache Herzinfarkt und das bei einer Zombieinvasion.
Ich ging ran. Wir besprachen uns kurz. Der Schaffner
erklärte mir detailiert, was zu tun war. An seiner angespannten Stimme bemerkte
ich, dass sich die Situation der anderen Flüchtlinge nicht verbessert hatte.
Mühsam und begleitet von mehreren Fehlschlägen startete ich die Maschinen und
brachte den Zug langsam in Fahrt. Wir mussten mit allem rechnen. Gleise konnten
quer geschaltet sein. Wir konnten auf ein Abstellgleis geraten. Alles war
möglich. So brachen wir auf und harrten der Dinge, die da kommen mochten.
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