Mittwoch, 6. Mai 2015

Dienstag 01.11.16 - Teil 1

Ich bin heute von Hannover mit der Bahn zurückgefahren. Es war nicht gerade erste Klasse, aber die Abteile waren erstaunlich sauber und die Mitreisenden unproblematisch. Ich lernte Marc kennen. Er stammte aus Frankfurt und verbrachte in Hannover ein verlängertes Wochenende bei seiner Freundin. Er lass Einführung in die moderne Theologie. Wer hätte das gedacht. Ein Pastor in Ausbildung. Sofort diskutierten wir über Gott und die Welt, buchstäblich. Dazu genossen wir einen milden Kaffee aus meiner Thermoskanne und ein paar Schokoriegel von ihm. Schließlich kam es, wie es kommen musste.
„Wie kann Gott all das Leiden zulassen“, fragte ich. 
„Dieser Frage muss sich jede große Religion schon seit Beginn der Zeitrechnung stellen“, erwiderte er. „Und?“ 
„Ich fürchte auf diese Frage gibt es keine gute Antwort. Als Christ gehe ich davon aus, dass auch das Leid von Gott kommt.“ 
Das überraschte mich. „Gott ist also nicht gut?“ 
„Nein“, antwortete er, „zumindest nicht nur. Hast du mal in die Bibel gesehen? Gott hat viele Facetten. Ich weiß das Gott uns liebt, aber warum er das Leid in dieser Welt zulässt bleibt ein Geheimnis. Es wird auch ein Geheimnis bleiben, da er selbst ein kaum lösbares Rätsel darstellt.“ Er lächelte etwas hilflos.
„Wir wissen also, dass wir nichts wissen“, fasste ich zusammen. 
„Wir wissen aber, dass er uns in unserem Leiden begleitet und uns beisteht und uns manchmal sogar rettet.“ Ich war mir nicht sicher ob ich wirklich verstand was er damit meinte. „Und der Zombievirus?“ 
Er überlegte eine Weile. „Darauf kann ich dir keine Antwort geben. Manchmal schickt uns Gott eine Krankheit, weil er uns damit etwas sagen will. Manchmal ist die Krankheit selbst eine Botschaft des Herrn.“ „Wir sind also selbst daran schuld, wenn wir krank werden? Wir haben also unser Leid selbst zu verschulden?“ 
Er hob abwehrend die Hände. „Nein, dass hast du missverstanden. Es mag einige Menschen geben, die ihr Leid selbst verschulden – wenn sie z.B. zu viel trinken und am nächsten Morgen einen Kater haben – aber Krankheiten, Schicksalsschläge, usw. kommen einfach über uns. Ich glaube jedoch, dass sie manchmal eine Nachricht, eine Botschaft für uns enthalten.“ 
Wir schwiegen eine Weile und jeder hing seinen eigenen düsteren Gedanken nach.

Gegen 16.00 Uhr fuhren wir im Frankfurter Hauptbahnhof ein. Ich half Marc bei seinem Gepäck. Auf dem Bahnsteig tauschten wir die Handynummern und verabschiedeten uns. In diesem Moment kam die erste Durchsage: „Wegen eines technischen Defekts verzögert sich die Weiterfahrt um 15 Minuten!“ Wir lachten. „Typisch Bahn“, bemerkte er. „Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt noch funktionierende Fahrpläne haben.“ Wir gaben uns die Hand. Ein lauter Knall donnerte von der Eingangshalle herüber. Wir fuhren erschrocken herum. Es war jedoch nichts zu sehen. Er lächelte. „Wahrscheinlich nur ein paar Kids, die Böller in die Mülltonnen geworfen haben.
„Frankfurt ist eben ein heißes Pflaster“, bemerkte ich ironisch. Dann trennten wir uns.

Ich schaute ihm noch eine Weile nach, unschlüssig ob ich mir einen Kaffee aus dem nahegelegenen Bahnhofskiosk holen sollte oder nicht. Ich diesem Moment schlurften verkrümmte Gestalten aus den unteren Ebenen des Bahnhofs nach oben. Blutüberströmt, mit hängenden Armen und wirrem Blick. Es war wie im Film. Sie torkelten auf einzelne Passanten zu und fielen sie an. Wie wilde Bestien stürzten sie sich auf sie und bissen sie in den Hals oder in die abwehrenden Arme, schlugen auf sie ein oder drängten sie zurück. Schnell brach Panik aus. Ich sah Marc, wie er von Flüchtenden zu Boden geworfen wurde und in einen Pulk der Infizierten geriet. Drei stürzten sich auf ihn, rissen ihn zu Boden und schlugen, bissen und rangen. Ich sah wie er sich wehrte. Einen Moment lang wollte ich hin und ihm beistehen, ihn retten. Doch es kamen immer mehr Zombies. Eine wahre Flut ergoss sich in die Bahnhofshalle und breitete sich schnell aus. Schon war er von einem großen Pulk umringt. Das letzte was ich sah, war das Blut, das aus Marcs zahlreichen Verletzungen spritzte und ich wusste, dass ich zu spät kommen würde.

Die Infizierten drangen unaufhaltsam vor. Sie nahmen den Haupteingang ein. Mehrere Gruppen marschierten in die kleinen Geschäfte und fielen über die Angestellten und Kunden her. Es war grauenhaft. Schreie gellten durch die Bahnhofshalle. Das Chaos regierte. Ein paar mutige Sicherheitsmänner der Bahnpolizei versuchten die Zombies aufzuhalten. Vergeblich! Sie wurden nach und nach niedergerungen und in Stücke gerissen. Drei Polizisten gaben mehrere Schüsse auf die Eindringlinge ab. Es gelang ihnen sogar einige Zombies aufzuhalten oder sogar endgültig zu töten, doch es waren einfach zu viele. Schon drangen sie auf die Gleise und Bahnsteige. Flüchtende mit weit aufgerissenen Augen und von Panik entstellten Gesichtszügen stürmten auf mich zu. Einige schafften es in ihre Züge, doch die Türen schlossen sich nicht. In den Wagons wurden sie von den langsameren, aber unaufhaltsamen Monstren eingeholt. Ich sah, wie sie so weit wie möglich zurückwichen. Ich sah, wie sie versuchten Scheiben einzuschlagen. Ich sah, wie die ersten Opfer sich wieder erhoben und sich der Zombiehorde anschlossen. Es war bizarr. Dann bewegten sie sich zielstrebig in meine Richtung.

Endlich löste auch ich mich aus meiner Angststarre. Ich machte auf dem Absatz kehrt und stürmte in die entgegengesetzte Richtung. An mein Gepäck verlor ich dabei keinen Gedanken. Notfalls würde ich auf die Gleise springen und so den Bahnhof verlassen. Nur weg von der tödlichen Meute. Doch es war wie in einem Alptraum. Einige hatten sich schon an den Seiten der Bahnsteige vorgearbeitet und krochen nun zwischen den Wagons nach oben. Einige blieben dabei an den offen liegenden Stromleitungen hängen und zappelten schrill schreiend.

„Hier rüber!“ Am Ende des Bahnsteigs stand ein Zugschaffner, der hektisch winkend die flüchtenden Menschen zu sich rief. In Ermangelung einer Alternative und weil ich in Panik sowieso nicht klar denken konnte, rannte ich so schnell ich konnte auf ihn zu. Es würde knapp werden. Immer mehr Zombies kamen von beiden Seiten nach oben, aber wenigstens waren sie nicht sehr schnell.

Ich war einer der letzten Flüchtigen, die eintrafen. Ich sprang in den Wagon. Erst jetzt fiel mir auf, dass er ziemlich weit hinten stand. Offensichtlich handelte es sich um einen Sammelzug, dessen Wagons in Frankfurt aufgeteilt worden waren und in verschiedene Richtungen weiterfuhren. 
„Sind hier Zombies drin“, fragte ich, um Luft ringend. 
Er schüttelte den Kopf. „Noch nicht.“ Er tippte auf dem Display an der Tür herum, drückte mehrere Knöpfe und drehte seinen Schlüssel. Nichts passierte. Er fluchte. Mir schwante böses. 
„Was ist?“ 
„Der Lokführer hat die Elektrik stillgelegt.“ 
„Und das bedeutet“, wollte ich wissen.
 „Wir stecken hier fest!“ Wütend schlug er auf das Display. „Solange der Lokführer die Systeme nicht freischaltet, können wir die Türen nicht schließen.“ Hilflos rang er die Hände. 
„Gibt es kein Notfallsystem?“ 
Das riss ihn aus seiner Ohnmacht. Verblüfft schaute er mich an. „Natürlich, aber wir müssten die Türen Manuell schließen. Da es sich um moderne Schiebetüren handelt müssen wir ganz schön kurbeln.“ Ohne zögern beschrieb er den Umstehenden schrittweise, wie sie die Türen schließen konnten. Es gelang. Keine Sekunde zu früh.
Unsere Sicherheit war nur vorübergehend. Zombies waren keine Gehirnakrobaten und in diesem Fall war eine kreative Problemlösung auch nicht notwendig. Durch die großen Fenster sahen sie ein reichhaltiges Buffet. Schnell umringten hunderte unseren Zug und schlugen mit Händen, Fäusten und Köpfen auf die Scheiben ein. Einige wenige kletterten sogar auf den Zug. Wir waren gefangen.
Hektisch suchten wir nach einem Ausweg aus der Misere. Der Schaffner versuchte über die Kommunikationsanlage Kontakt mit dem Lokführer aufzunehmen. Er erhielt keine Antwort. Er fluchte. „Wenn es den Lokführer erwischt hat“, er ließ den Rest unausgesprochen.

Wir schwiegen. Nur wenige Zentimeter von uns entfernt trommelten die Zombies gegen die Türen und Fenster. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie es hineinschafften. Die wenigen Flüchtenden standen in den Gängen. Nackte Angst zeichnete ihre Gesichter. Es gab keinen Ausweg. Ich schloss die Augen. So würde es also enden, zerfleischt von mordlustigen Wahnsinnigen, getrieben von einem heimtückischen Virus.

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