Samstag, 10. Oktober 2015

Sonntag 06.11.16 - Teil 3

Endlich startete der Wagen. Ich trat das Gaspedal durch. Der Golf machte einen Satz nach vorn als freute er sich die Zombies abzuschütteln und jagte die Straße in Richtung Innenstadt hinunter. Blitzschnell überschlug ich unsere Möglichkeiten. 

Durch den Herrengarten zu fahren wäre sicherlich die kürzeste Strecke gewesen, doch es gab dort auch viele Hindernisse und auszusteigen, um ein Tor zu öffnen, war riskant. So steuerte ich kurz vor dem Tor zum Herrengarten nach links, brach durch den Schlagbaum der Universitäts-Tiefgarage und hielt mich rechts um zwischen dem Konferenzhotel der TU und dem Haus der Geschichte durchzufahren.

Unser Weg führte uns die Bleichstraße hinunter, am Schloss und am neuen Gerichtsgebäude vorbei. Zwischendurch blitzte es in grellem Rot, als wir einen der zahllosen innerstädtischen Blitzer auslösten. „Musst du immer so rasen“, nörgelte Paul vom Rücksitz. „Du wirst noch deinen Führerschein verlieren.“ Keine Ahnung woher er in dieser Situation seinen Humor nahm. Wir lachten etwas gezwungen, doch es half uns mit der Situation umzugehen.

Es war nicht mehr weit bis zum Hauptbahnhof. Die Straßen lagen verlassen und Verkehrsregeln scherten uns nicht. Trotzdem drossle ich das Tempo. Es gab keinen Grund ein unnötiges Risiko einzugehen.

Ich bog in südlicher Richtung in die Kasinostraße und am Kennedyplatz in westlicher Richtung auf die Rheinstraße. Sekunden später stieg ich in die Eisen. Untote Menschen, Zombies, so weit das Auge reichte.

 „Verdammt“, fluchte ich. 
„Das darf doch nicht wahr sein“, stöhnte Alex. Zu allem Überfluss schreckte das Quietschen der Reifen eine kleine Gruppe Zombies auf, die sich sofort auf uns zu bewegten. 
„Wir sind sehr beliebt!“  Ich rammte den Schalthebel in den Rückwärtsgang und holte alles aus dem Wagen heraus, was drin war. Auf der Höhe der Kreuzung riss ich das Steuer herum. Ich war gerade dabei den ersten Gang einzulegen als mein Gehirn etwas registrierte. Es war nur ein diffuser Schatten in den Augenwinkeln. Meine Unterbewusstsein meldete eine Gefahr, die ich jedoch nicht zuordnen konnte.  Es dauerte zu lange bis ich begriff.


Der Aufprall war mörderisch. Ein Berg von einem LKW schlug in unseren Golf ein. Er schleifte uns zehn Meter weit mit, bis er uns wie ein langweilig gewordenes Spielzeug beiseite fegte. Kurzzeitig wurde mir schwarz vor Augen. Mein Kopf dröhnte wie eine Glocke. Als ich wieder zu mir kam, sah ich, wie der LKW ungebremst in den Strom von Zombies eintauchte. Mit der trägen Masse von mindestens zwanzig Tonnen pflügte er unaufhaltsam durch sie hindurch. 
Trotz allem gelang es einigen Monstren sich am Fahrzeug festzuhalten und sich daran hochzuziehen. Langsam arbeiteten sie sich zum Führerhaus vor. Was genau geschah konnte ich aufgrund der wachsenden Entfernung nicht mehr erkennen, aber der LKW begann zu schwanken, schaukelt sich auf, zog schließlich nach links, sprang über die Gleise einer Straßenbahnlinie und bohrte sich schlussendlich in ein architektonisches Meisterstück aus den frühen Siebzigern.

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Sonntag 06.11.16 - Teil 2

Aus der Mauerstraße wankte eine seltsam gekrümmte Gestalt um die Ecke, keine zehn Meter von uns entfernt. Sie humpelte und zog das rechte Bein nach. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich den Grund, eine klaffende ekelerregende Wunde am vorderen Oberschenkel. Aus meiner Zeit als Zivildienstleistender beim Rettungsdienst wusste ich, dass solche Wunden – aufgrund des großen Blutverlustes – innerhalb einer Stunde zum Tod führen konnten. Die Gestalt schien sich daran nicht zu stören. Mit hängendem Kopf und geisterhaftem Grinsen schaute sie sich um.

Ich erstarrte, hielt den Atem an. Es handelte sich um einen älteren Mann, vielleicht Mitte fünfzig. Er trug einen fleckigen, zerrissenen Nadelstreifenanzug mit weißem Hemd und dezenter dunkelblauer Krawatte. Die ergrauten Haare hingen ihm wirr über die Stirn und verdecken sein rechtes Auge. Ehemals ein Bankangestellter, vielleicht ein Manager. Jetzt nur noch ein mordlustiger wandelnder Leichnam.

Unentschlossen ließ er seinen Blick nach allen Seiten schweifen. Sekunden vergingen wie Stunden. Dann sah ich hinter mir weitere Gestalten die Straße herunterkommen. Zuerst waren es zwei, dann fünf und schon bald zehn, die aus Richtung Kopernikusplatz kamen. Einerseits wurde mir klar, dass wir uns schnellstens in Sicherheit bringen mussten, andererseits war ich vor Panik völlig gelähmt. Meine Beine glichen tonnenschweren Gewichten. Verdrängte Erinnerungsfetzen an die Geschehnisse vom Frankfurter Hauptbahnhof blitzten in schneller Folge vor meinem inneren Auge auf.

Es blieb mir jedoch keine Zeit auf meine Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle einzugehen. Aus einem Nachbarhaus stürmte ein Mann zwischen mir und dem herannahenden Mob auf die Straße. In seiner Rechten hielt er eine Pistole. „Halt“, schrie er und zielte mit der Waffe auf mich. „Weg vom Wagen!" Er gestikulierte mit der Waffe. "Sofort aussteigen! Der Wagen gehört von jetzt an mir. Verschwindet.“

Die bisher gemächlich herannahende Zombiemeute hinter ihm, wurde von seinem Geschrei aufgeschreckt und angelockt. Sie beschleunigten ihre Bewegungen. Er war so aufgeregt, dass er den Tod nicht kommen sah. 

Sollte ich ihn warnen? Was würde dann passieren? Würde er mit unserem Wagen flüchten und uns zum Sterben zurücklassen? Hin und her gerissen war ich blockiert und verharrte in einer Schockstarre.

Als er sie endlich bemerkte war es schon zu spät. Sie waren schon zu nah, um noch flüchten zu können. Es gelang ihm noch zwei der Zombies niederzuschießen, doch drei andere überwältigten ihn und rissen ihn zu Boden. Er schlug noch um sich, hieb mit seiner Waffe in die verzerrte Fratze eines Zombies, entwand sich den Klauen eines Weiteren, hatte jedoch keine ernsthafte Chance mehr.

„STEIG ENDLICH EIN“, schrie Alex. 

Das wirkte. Mühsam kämpfte ich mich aus meiner Benommenheit und sprang in den Wagen. Keine Sekunde zu früh. Der einzelne Zombie vor uns verfolgte mich und schlug einen Wimpernschlag zu spät gegen die frisch geschlossene Tür. Adrenalin beschleunigte meine Bewegungen. Ich drehte den Zündschlüssel, doch der Wagen startete nicht.

 „Echt jetzt?“, schrie ich. Verzweifelt pumpte ich mit dem Gaspedal Benzin in den Motor. Der verdammte Golf hatte uns in den letzten zehn Jahren nicht einmal im Stich gelassen, warum ausgerechnet jetzt? Wie in diesen beknackten Horrorfilmen.
Der Zombie trommelte mit gnadenloser Härte gegen die Fensterscheibe. Ich betätigte die Zentralverriegelung und hoffte, dass es ihm nicht gelang, das Fenster zu zerstören. Alex schrie auf, auch auf ihrer Seite wüteten dieselben entstellten Gestalten. Der Wagen erbebte. Im Rückspiegel sah ich weitere Zombies herannahen. Schreckliche Fratzen mit leeren seelenlosen Blicken überall.

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Sonntag 06.11.16 - Teil 1

Das Telefon klingelte. Der Wecker zeigte 05.13 Uhr. Ich tastete nach dem Handy. Auf dem Display blinkte ein lachender Steffen beim Grillen. Ein Foto von der Feier zu seinem siebenundzwanzigsten Geburtstag. Es kam mir vor, als wären seitdem Jahrhunderte vergangen. 
Ich nehme den Anruf an. „Ja?“
Steffens Stimme klang hart. „Sie sind da!“
Ich merkte wie sich in meinem Hals ein Kloß von wahrhaft gigantischen Ausmaßen bildet. Ich konnte kaum atmen, begann am ganzen Körper zu zittern. Obwohl ich eigentlich noch gar nicht richtig wach war, schien mein Unterbewusstsein die tiefere Bedeutung seiner Worte zu erkennen.
 „Sie sind schon nahe der Stadtmitte. Es dauert nicht mehr lange und sie fallen über uns her. Wir werden sie so lange wie möglich zurückhalten.“ Die ruhige Sachlichkeit, mit der er sprach, erschreckte mich.
„Pass auf dich auf“, setzte ich an, doch er unterbrach mich. 
„Sieh zu, dass du die Stadt verlässt. Denk an den Hauptbahnhof.“ Hinter seiner Stimme gellten Schreie. 
„Sie kommen.“ Schüsse fielen. Das Geschrei wurde lauter, chaotischer. 
„Bleibt hinter den Barrikaden“, hörte ich eine tiefe Stimme rufen. „Wir werden nicht weichen! Feuer frei!“ Dann war die Verbindung weg.
„War das Steffen“, fragte Alex verschlafen und schmiegte sich an mich. Sie zitterte, hatte Angst, genau wie ich.
„Ja“, flüsterte ich.
So schnell es uns möglich ist weckte ich Paul, packten unsere Sachen und stürmten die Treppe hinunter. Während Paul und Alex die letzten Sachen im Auto verstauten, klingele ich in jeder Wohnung und gab die schlimme Nachricht weiter. Kaum jemand reagierte darauf. Schockstarre. Sie hofften in ihrer Wohnung sicher zu sein.

Ich wollte gerade einsteigen, als mir ein leises, schiefes Heulen das Blut in den Adern gefrieren lies.